Die grüne Null ist das große Ziel

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Im Zuge der zunehmenden Sorge um Umweltbelastungen und den Klimawandel gewinnt die Förderung einer nachhaltigen Mobilität immer mehr an Bedeutung. Dabei nimmt der emissionsfreie öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) eine zentrale Rolle ein – sowohl in Dresden als auch im ländlichen Raum.

Nils Brabandt/Konzept Konzept

DIE GRÜNE NULL IST DAS GROSSE ZIEL

In urbanen Gebieten macht der Verkehr einen erheblichen Teil der CO2-Emissionen aus. Deshalb spielt der emissionsfreie ÖPNV eine wichtige Rolle bei der Reduzierung der Umweltbelastungen. Elektro- und Wasserstoffbusse sowie Straßenbahnen tragen dazu bei, den CO2-Ausstoß zu verringern und die Luftqualität zu verbessern. Durch ein gut ausgebautes ÖPNV-Netz können zudem Verkehrsstaus reduziert und die Effizienz im Personenverkehr gesteigert werden. Auch im ländlichen Raum ist der ÖPNV von großer Bedeutung für die Mobilität vieler Menschen.

Ein zuverlässiges und umweltfreundliches ÖPNV-Angebot trägt daher nicht nur zur Reduzierung von Verkehrsemissionen bei, sondern sichert auch die Mobilität und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für die Bewohnerinnen und Bewohner ländlicher Regionen. Der VVO stellt sich als Mitglied des UITP, dem weltweiten Verband für den öffentlichen Personenverkehr diesen Herausforderungen. Anfang April besuchte eine internationale Delegation Dresden und diskutierte über Investitionen in emissionsfreie Technologien sowie den Ausbau und die Modernisierung des ÖPNV, um die Mobilitätswende voranzutreiben.

Im Interview haben wir mit dem „CHEF“ Harry Habel, Bürgermeister der Stadt Bernsdorf (Oberlausitz) und dem „Planer“ Frank Fiedler, Leiter der Abteilung Verkehrsentwicklungsplanung der Landeshauptstadt Dresden gesprochen.

Harry Habel ist seit 2005 Rathaus-Chef im ostsächsischen Bernsdorf und wurde 2019 mit 93,83 Prozent der Stimmen zum dritten Mal im Amt bestätigt. Sein Projekt „Industriepark Straßgräbchen“ ist ein wichtiges Puzzlestück des Strukturwandels im Lausitzer Revier.

Harry Habel: Im ländlichen Raum gewinnt das Verständnis für klimagerechtes Handeln immer mehr an Bedeutung. Dies liegt insbesondere daran, dass auch hier die Auswirkungen des Klimawandels angekommen sind. Zunehmende Extremwetterereignisse und ihre Folgen gefährden unsere Lebens- und Naherholungsbereiche. Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, müssen sich zukünftig auch kleinere Orte wie Bernsdorf beteiligen, beispielsweise um den Ausstoß von treibhausschädlichem Kohlendioxid zu minimieren.

Der wichtigste Faktor ist dabei aber immer der Mensch. Ohne gute Kommunikation und ohne Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen, Anreizen und spezifischen Regelungen zur Durchsetzung von Klimaschutzmaßnahmen kann man keine Akzeptanz in der breiten Bevölkerung erwarten. Vorbildwirkungen für derartige Klimakonzepte entfalten solche Projekte wie „Zero Emission Dresden“ deren langfristige Zielsetzung die Klimaneutralität ist. Ähnliche Konzepte müssen zukünftig auch im ländlichen Raum wachsen. Die Schaffung von Fachstellen wie Klima-Manager auf kommunaler Ebene kann hierbei nur ein erster Schritt sein.

Gemeinsam mit den politischen Entscheidungsträgern müssen klare Zielsetzungen definiert werden, deren Umsetzungen durch konkrete, realistische Maßnahmenpläne realisiert werden sollten. Eine Verstetigung der aktiven Beteiligung der Bevölkerung spielt auf diesem
Weg eine zentrale Rolle.

Einigkeit: Für eine klimaneutrale Mobilität müssen die Menschen aktiv eingebunden werden.

Frank Fiedler ist Abteilungsleiter im Bereich Verkehrsentwicklungsplanung der Stadt Dresden und arbeitet unter anderem am Dresdner Mobilitätsplan 2035+, der Konzepte für die zeitgemäße, gleichberechtigte und umweltfreundliche Mobilität erarbeitet.

Frank Fiedler: Beim Übergang zur klimafreundlichen Stadt stehen wir erst am Anfang einer transformativen Reise. Die Umstellung des Verkehrs auf Null-Emission ist dabei ein wichtiges Puzzleteil, denn der Ausstoß von treibhausschädlichem Kohlendioxid steht im engen Zusammenhang mit der Erderwärmung. Diese hat wiederum starken Einfluss auch auf das Leben der Menschen in Dresden. Auch wenn die negativen Effekte des Klimawandels weithin bekannt sind, ist die Akzeptanz für die erforderlichen Veränderungen im Verkehrssystem in der Mehrheit der Stadtgesellschaft wahrscheinlich noch nicht vorhanden. Diese Akzeptanz zu schaffen ist eine vordringliche Aufgabe, weil am Ende alle Menschen in der Stadt von klimafreundlicher Mobilität profitieren sollen und können.

Mit dem Dresdner Mobilitätsplan 2035+ gehen wir diese Herausforderungen gezielt an. In mehr umweltfreundlichem Mobilitätsverhaltens durch bessere Mobilitätsangebote liegt eine große Chance. Sharing-Angebote, die DVB-MOBI-Welt und öffentliche On-Demand-Verkehre als neue Elemente des ÖPNV sind zusammen mit mehr intermodaler Verknüpfung, digitaler Information und Elektrifizierung des ÖPNV Entwicklungsschritte, die Dresden schon gegangen ist und mit dem Mobilitätsplan 2035+ weitergehen wird.

Für diesen Weg zur nachhaltig mobilen Stadt sind starke Veränderungen notwendig. Dafür bedarf es einer positiven Kommunikation, der aktiv gestaltenden Teilhabe der Bevölkerung und am Ende natürlich demokratischer Willensbildung. Dresden hat bereits eine Vielzahl an Veränderungen erfolgreich umgesetzt und ist Vorreiter bei der Zufriedenheit mit dem Verkehrssystem in Deutschland. Schon zwei Mal hat die Stadt den SUMP-Award der Europäischen Union für seine Anstrengungen erhalten und ist auch Teil der „Mission 2030“, die 100 Städte Europas in eine klimaneutrale Zukunft führen soll. Ich bin zuversichtlich, dass wir als innovative und vorwärtsorientierte Stadt die Mobilitätswende gemeinsam schaffen.

DAMIT AM ENDE EINE NULL STEHT

Ob Stadt oder Land – der Klimawandel ist schon überall zu spüren.

Wo spüren Sie den Klimawandel schon?

Harry Habel Natur und Menschen leiden in Ostsachsen zeitweise unter extremer Trockenheit, während die Aufnahmefähigkeit des Bodens für Wasser immer niedriger wird. Dazu kommen Waldbrände und ein Befall durch Borkenkäfer. Besonders im Bau- und  Infrastruktur­sektor müssen wir Rahmenbedingungen schaffen, die das klimagerechte Leben unterstützen.

Frank Fiedler An heißen Tagen erkennt man sehr schnell, wie die Überhitzung einer Stadt abläuft. Mit neuen Bäumen, mehr Begrünung, Versickerung, besserem Baumaterial und Verschattung versuchen wir, die Stadt überall an den Klimawandel anzupassen. Das geht bis zum Haltestellendach, was Schatten spendet.

Harry Habel Man kann wirklich viel tun. Schon kleine Gesten wie beispielsweise die Bereitstellung von Trinkbrunnen in öffentlichen Gebäuden erzielen eine große Wirkung.

Welche Rolle spielt dabei der ÖPNV?

Frank Fiedler  Der ÖPNV ist das Rückgrat für den Teil des Personenverkehrs, der in der Stadt nicht per Rad oder zu Fuß möglich ist. Dafür braucht es starke und schnelle Achsen, die gut erreichbar sein müssen. Es braucht also neben den Angeboten optimal gestaltete Zugangspunkte. Da geht es um sicheres Radabstellen, Sharing-Angebote aber auch Parkplätze, Bänke und lebendige Bahnhöfe. Gerade beim Pendeln kann der ÖPNV sein Potenzial ausspielen. Entsprechend der Dresdner Leitziele für Mobilität wollen wir 70.000 Autofahrten pro Tag auf Bus und Bahn verlagern. Das gelingt nur mit einem gut vernetzten und regional wirkenden ÖPNV.

Harry Habel Richtig! Um den Menschen den Umstieg auf den ÖPNV schmackhaft zu machen, braucht es auch bei uns die notwendige Infrastruktur. Außerdem müssen wir es schaffen, den Güterverkehr von den Straßen auf die Schiene zu bekommen. Leider enden Verkehrskonzepte bei uns häufig an Kreis-, Landes- oder Bundesgrenzen. Bestes Beispiel ist die fehlende Bahnanbindung sächsischer Kommunen an das Lausitzer Seenland. Das muss sich ändern.

Gibt es beim Klimaschutz einen Stadt-Land-Konflikt?

Stadt & Land. Konkurrenzfähiger ÖPNV braucht eine gute Infrastruktur.

Frank Fiedler Nein, den sehe ich nicht. Häufig ist für den persönlichen Beitrag zum Klimaschutz eine ländliche Region sogar besser geeignet bei der nachhaltigen Energieerzeugung, bei Artenvielfalt und Grün. Die Stadt wiederum ist klimafreundlich, wenn sie für Wohnen und Verkehr wenig Platz braucht, viele Funktionen bündelt und die Wege kurz hält.

Harry Habel Das sehe ich differenzierter. Allein die geringen Angebote an alternativen Mobilitätskonzepten wie Car-Sharing oder die niedrige Taktung des ÖPNV lassen den Menschen im ländlichen Raum wenig klimafreundliche Alternativen. Die Herausforderung liegt darin, Natur- und Artenschutz mit den größeren Distanzen für Pendler- und Güterverkehr zu vereinbaren. Im Vergleich zur Stadt muss es deshalb andere Lösungen geben, die entsprechend kommuniziert werden sollten. Die Lausitz befindet sich beispielsweise in einem umfassenden Strukturwandel. Dabei achten wir auf ein ganzheitliches Konzept von Wirtschafts- und Verkehrszonen und unterstützen Null-Emissions-Ansiedlungen.

Auf welche Maßnahmen müssen sich die Menschen in Zukunft einstellen?

Harry Habel Generell bedarf es einer größeren Technologieoffenheit in allen Bereichen des ÖPNV. Eine große Rolle spielt bereits die Digitalisierung, deren Potenziale bei Weitem noch nicht ausgeschöpft sind. Autonome Steuerungsverfahren und der Einsatz KI-gestützter Fahrpläne werden zukünftig Normalität sein.

Frank Fiedler Für die Menschen ist wichtig, dass Mobilität und gerade der ÖPNV zuverlässig zur Verfügung steht. Der E-Antrieb ist für die Verkehrsmittelwahl erst mal nicht entscheidend, aber für die Klimabilanz insgesamt. Der ÖPNV benötigt an vielen Stellen mehr Priorität als heute und muss sich im Umweltverbund vernetzen. An Verkehrsversuchen in Dresden sehen wir, wie komplex es ist, die Bedürfnisse zu einer maximalen Wirkung zu kombinieren.

Woher nehmen Sie bei der Komplexität der Aufgabe Ihren Optimismus?

Frank Fiedler Optimismus darf man nicht mit Naivität verwechseln. Uns allen ist klar, dass Veränderungen häufig erst mal zu Abwehrreaktionen führen. Das erfahren wir jeden Tag. Aber wir trauen den Menschen zu, dass sie bei guten Konzepten und einer verlässlichen Umsetzung diese Veränderungen mittragen.

Harry Habel Als Bürgermeister nehme ich steigendes Bewusstsein der Bevölkerung für Umwelt- und Naturschutz wahr. Die Bereitschaft für Veränderungen darf jedoch nicht an steigenden Ticketpreisen, komplizierteren Tarifstrukturen und unzuverlässigen Verkehrsverbindungen  scheitern. Wir müssen uns dabei auch an unseren Taten messen lassen. Die Elektrifizierung der S-Bahnverbindung Dresden – Kamenz und der Ausbau über Hosena direkt nach Hoyerswerda wären ein schöner Anfang.


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