Tarif mit Zukunft: Ein Abo für (fast) alles

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Einfach, transparent und gut für die Umwelt: Für einen günstigen Fahrschein im ÖPNV spricht vieles. Politik, Verbände und Gewerkschaften waren sich deshalb einig, dass ein Nachfolger für das 9-Euro-Ticket her muss. Mit 49 Euro liegt das bundesweite Ticket nun deutlich unter den durchschnittlichen Preisen für Monatskarten bei den regionalen Verkehrsverbänden. Nach einem Jahr Laufzeit könnte sich der Preis aber erhöhen. Sylvana Kohl (SK), Vertriebsreferentin bei der DB Regio, Sascha Heiser (SH), Sachgebietsleiter Vertriebsentwicklung bei den DVB, und Christoph Friemelt (CF), Mitarbeiter Vertriebstechnik beim VVO, besprechen, wohin die Reise mit dem Deutschlandticket gehen wird.

Nils Brabandt/Konzept Konzept

Wie weit kommen wir mit 49 Euro? Sylvana Kohl, Sascha Heiser und Christoph Friemelt (v.l.n.r.) prüfen am Dresdner Hauptbahnhof ihre Optionen mit dem Deutschlandticket.

Ist das Deutschlandticket der große Wurf?
SK Das Ticket bietet die Chance, mehr Menschen für den ÖPNV zu begeistern. Denn so einfach war das Bus- und Bahnfahren noch nie. Zusätzlich sparen unsere Kunden Geld. Einen Monat lang quer durchs ganze Land bekommen sie zum Preis einer halben Pkw-Tankfüllung. Stand Juni haben bereits zehn Millionen Menschen das Ticket gekauft. Wir hoffen, dadurch auch neue Kundengruppen zu erschließen, wie junge Menschen oder Gelegenheitsreisende. Apropos Auto. Der Umstieg vom Pkw auf den klimafreundlichen ÖPNV ist unter Umweltaspekten natürlich ebenfalls sehr positiv zu bewerten.
CF Das sehen wir beim Verkehrsverbund genauso, haben aber mit den neuen Chancen auch die Risiken hinsichtlich der Finanzierung im Blick. Das bestehende Angebot muss gesichert oder idealerweise sogar ausgebaut werden, was angesichts der veränderten finanziellen Rahmenbedingungen immer schwieriger wird. Der Anteil staatlicher Mittel nimmt zu, während die klassischen Einnahmen aus Fahrkarten an Bedeutung verlieren. Hier sind noch große Unsicherheiten enthalten.
SH Das Deutschlandticket punktet gerade bei Gelegenheitsfahrern. Doch auch das normale Abo hat für Kunden Vorteile, wenn sie beispielsweise die Übertragbarkeit oder die Mitnahme von weiteren Personen nutzen möchten. Für uns intern bedeutet das, nach dem Azubi-, dem Bildungs- und dem 9-Euro-Ticket zum vierten Mal in Folge einen besonderen Aufwand. Die Schlangen bilden sich ja nicht nur sichtbar am Kundenzentrum, sondern auch unsichtbar in der Service-Hotline und bei uns im Backoffice, wo alle Vertragsdaten bearbeitet werden müssen.

Schwächt das Deutschlandticket die Bedeutung des VVO?
CF Ich würde eher sagen, es wandelt sich. Die originäre Kernaufgabe, Tickets und Preise festzulegen, verliert zukünftig zwar an Bedeutung. Gleichwohl bleiben gerade bei der vertrieblichen Umsetzung viele Aufgaben in der Region, welche durch uns koordiniert werden müssen. Aufgrund der zahlreichen beteiligten Akteure braucht es eine regionale und vermittelnde Instanz, die die Anforderungen und Wünsche von Verkehrsunternehmen, Politik und Fahrgästen bündeln, bewerten und letztlich umsetzen kann. Für das Deutschlandticket haben wir die vertrieblichen Grundlagen für die Verkehrsunternehmen bereitgestellt. Im Deutschlandticket steckt also genauso viel VVO drin wie im normalen Ticket.

Aus der Not geboren. War das 9-Euro-Ticket noch Teil eines befristeten Entlastungspakets der Bundesregierung, kann das Deutschlandticket nun dauerhaft genutzt werden.

Welche Erkenntnisse konnten die DVB aus dem 9-Euro-Ticket mitnehmen?
SH Bei uns hat sich ein unternehmensübergreifendes Projektteam mit Vertretern aus Vertrieb, Marketing, Marktforschung und Finanzabteilung bewährt. Durch die kurzen Abstimmungs- und Entscheidungswege konnten die Vorbereitungen trotz immer wieder unterschiedlicher Anforderungen getroffen werden. Das 9-Euro-Ticket war natürlich der Renner an unseren Ticketautomaten. Im Vergleich dazu ist das Deutschlandticket aber ein dauerhaftes Abo und hat somit Auswirkungen auf das komplette Tarifsortiment. Zudem benötigen beispielsweise unsere Stammkunden eine neue Chipkarte, denn nur so ist eine bundesweite Kontrolle möglich. Beim 9-Euro-Ticket wurde ohne einheitlichen Standard per Sichtkontrolle geprüft.

Aus Vertriebssicht sind Abo-Modelle eine willkommene Vereinfachung. Kunden können das Deutschlandticket bequem in die bevorzugte ÖPNV-App integrieren.

Warum wird das Ticket ausschließlich digital und im Abo vertrieben? Hat das Vorteile/Nachteile?
SK Diese Vorgaben resultierten aus einem gemeinsamen Beschluss des Bundes und der Länder. Grundsätzlich bietet die Digitalisierung den Menschen einen passgenaueren und attraktiveren ÖPNV. Und gerade im Nahverkehr gibt es beim Vertrieb hinsichtlich Komfort, Flexibilität und Nachhaltigkeit noch Luft nach oben. Gleichzeitig sind uns auch die Nachteile wie die Abhängigkeit von technischen Geräten und der notwendige Internetzugang bewusst. Aber alles in allem vereinfacht das Deutschlandticket den Verkaufsprozess und erleichtert den Zugang für die breite Masse.

Sind auf längere Sicht Sonderregelungen für die Nutzung des Fernverkehrs geplant?
SK Das Ticket wird von Bund und Ländern subventioniert und die Verkehrsunternehmen im öffentlich bestellten Nahverkehr erhalten für die aufgrund des niedrigen Preises entstandenen Erlösausfälle Ausgleichszahlungen. Züge im Fernverkehr erbringen grundsätzlich keinen öffentlich bestellten Nahverkehr, sie fahren eigenwirtschaftlich. Mit entsprechendem politischen Willen und finanzieller Unterstützung ist eine Anerkennung grundsätzlich möglich. Das gilt beispielsweise auch für ein Tarifupgrade von Nahverkehr zu Fernverkehr, welches ebenfalls zu Erlösausfällen führen würde.

Wie sieht die Zukunft des „normalen“ Monats-Abos aus?
SH Aktuell ist dies schwierig abzuschätzen. Derzeit sehen wir das Deutschlandticket als Ergänzung und zusätzliches Angebot in unserer Tariflandschaft. Aktuell sind nur ein Drittel unserer Stammkunden zum Deutschlandticket gewechselt. Das bedeutet, dass ein Großteil die Mehrwerte wie Übertragbarkeit und Mitnahmeregelung und natürlich auch unsere Mobi-Vorteile zu schätzen weiß. Fest steht aber bereits jetzt, dass sich die gewohnten Kundenbeziehungen durch die monatliche Kündbarkeit verändern werden. Für uns ist es deshalb wichtig, die Kunden bei uns im System zu halten, egal ob als Abo- oder Deutschlandticket-Kunde.

Wird sich das Deutschlandticket durchsetzen?
CF Ich denke, dass das von den politischen Rahmenbedingungen abhängt. Wenn es gelingt, auch langfristig politische Mehrheiten für einen günstigen bundesweiten ÖPNV zu sichern, wird das Angebot ein fester Bestandteil, mit hoher Strahlkraft für die ÖPNV-Landschaft Deutschlands werden. Nichtsdestotrotz hängt der Erfolg des Tickets auch von der Attraktivität des ÖPNV vor Ort ab. Deshalb muss es gelingen, das Angebot auf Straße und Schiene nachhaltig auszubauen.

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